Als einer der Pioniere des Städte-Brandings untersucht Jeremy Hildreth wie kreative Denkweisen das Image und die Wertigkeit eines Ortes transformieren.
Paris ist romantisch, aber spüren Sie die Liebe in Rangun? Vor einem Besuch der weltweit bekanntesten Städte assoziieren wir mit ihnen eindrucksvolle Bilder, Erwartungen und Gefühle. Wie Nike, Apple und Twitter sind sie globale Megamarken, die die Kultur, Politik und Wirtschaft der Welt formen. Fast ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts wird von nur 100 der 36.000 Städte unseres Planeten erwirtschaftet – eine solide urbane Identität kann also Wohlstand und Einfluss wie auch Touristen anziehen. Aber wie lässt sich aus einer profanen Metropole eine aufregende Stadt machen?
Perfekte Stadtmarken zu schaffen, ist viel komplexer als die Entwicklung einer Marke für Laufschuhe. Kommerzielle Marken werden von Mitarbeitern geschaffen und an Kunden verkauft. Die Zielgruppe von Städten ist viel breiter gefächert – Einwohner, Unternehmen, Touristen, Studenten, Wanderarbeiter. Sie alle sind aus ganz individuellen Gründen da. Skurrile Seiten einer Stadt, die Touristen so sehr lieben, können Anwohner verrückt machen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die New Yorker Taxifahrer.
Anders als für Turnschuhe ist es schwierig, für Städte Werbung zu machen. Das, was unser Interesse für bestimmte Orte weckt und dazu führt, dass wir sie im Gedächtnis behalten, ist die ‚Aussergewöhnlichkeit‘, wie ich es gerne nenne – also Eigenschaften, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Durch die sozialen Medien sind diese besonderen Eigenschaften wichtiger denn je. Wie
kein anderes Produkt leben Städte von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Sie müssen es schaffen, dass wir ins Schwärmen über sie geraten. Wie ein gutes Aphrodisiakum sorgt die Stadtmarke für eine geschmeidige Verführung.
Für mich beginnt alles auf der Strasse. Entführen Sie eine Person, bringen Sie sie nach London, nehmen Sie ihr die Augenbinde ab und innerhalb von fünf Sekunden weiss sie, wo sie sich befindet. Überraschenderweise sind nur wenige Städte bemüht, solch eine Einmaligkeit auf ihren Strassen, dem offensichtlichsten und zugänglichsten Teil der urbanen Identität, zu schaffen. Unverwechselbare Denkmäler und öffentliche Plätze verleihen einer Stadt Charakter, einzigartige visuelle Punkte schreien förmlich: „Willkommen in London/ New York/ wo auch immer“. Was wäre Pisa ohne seinen schiefen Turm?
Der Charakter einer Stadt kann sich in vielen Formen äussern. Gepflegte Strassenkunst kann faden Bürgersteigen Ausdruck verleihen und lädt zu Geschichten, Mythen und Humor ein. Die mongolische Hauptstadt ist beispielsweise für ihren äusserst blauen Himmel berühmt. Warum dann nicht die Stadtbusse himmelblau lackieren?
Trotzdem muss die Stadtverwaltung dabei mit Sorgfalt vorgehen. Wo eine gute Organisation und Schicklichkeit wertvoll sind, zahlt sich Perfektion nicht aus. Einige der beliebtesten Städte sind laut, chaotisch und geradezu ungestüm. Stimmung und Vitalität können sehr wertvolle Merkmale sein. Vor ein paar Jahren empfahl meine Agentur Belgrad, seinen Ruf als Partystadt zu vermarkten und sich markentechnisch an der dynamischsten Stadt Spaniens zu orientieren, um zum ‚Barcelona des Balkan‘ zu werden.
„Anders als für Turnschuhe ist es schwierig, für Städte Werbung zu machen.“
Die Einzigartigkeit eines Ortes herauszustellen, ist von äusserster Wichtigkeit. Trotz der Globalisierung ist die Welt nicht überall gleich. McDonald’s-Restaurants gibt es sowohl in Rom als auch in Riga, doch könnten die Einwohner, die dort essen gehen, nicht unterschiedlicher sein. Stellt man die Bewohner, die Kultur und die Küche einer Stadt in den Mittelpunkt der urbanen Identität, lassen sich die Herzen der Menschen im In- und Ausland viel besser gewinnen.
Fragen Sie sich vielleicht beim Lesen dieser ganzen Geschichte, was urbane Markenbildung mit Ihnen zu tun hat? Nun, in einigen Jahrzehnten werden 75% der Weltbevölkerung in Städten leben. Ich glaube ausserdem, dass die Metropole ein Mikrokosmos der modernen Welt ist. Wenn wir sehen wollen, wie wir als Menschen leben, brauchen wir nur unsere Städte anzuschauen.