Tian Chiang, Associate bei MACH Architektur, spricht über Flexibilität, Materialität und Kontextualität im Wohnungsbau.
Welche Überlegungen stehen bei der Gestaltung von Wohnräumen im Vordergrund?
Es ist wichtig, einen effizienten Umgang mit dem vorhandenen Raum zu finden. Ziel ist eine natürliche Balance zwischen Funktion und Freiraum, Dichte und Leere. In Wohnräumen gibt es Bereiche, die man gerne zeigt oder lieber versteckt. Das sollte bei der Gestaltung durch klare Ordnung und schlaue Erschliessungswege berücksichtigt werden. Wohnräume müssen heute flexibler sein: Ein Wohnzimmer kann sich zum Homeoffice transformieren, die Küche für das Homeschooling eignen, das Kinderzimmer zum Gym werden. Flexibilität hat auch eine emotionale Bedeutung. Sie berücksichtigt die Personalisierbarkeit der Wohnräume.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft?
Die Kommunikation mit der Bauherrschaft ist die Basis jedes Konzepts. Wir generieren zusammen ein Raumprogramm. Das ist nicht nur eine Liste von Raumfunktionen, sondern, wie bei einem Filmscript, eine Definition von Szenarien, die sich in den Räumen abspielen. Wir flechten auch persönliche Erinnerungen und den Lifestyle der Bauherrschaft ein.
Was brauchen Wohnräume, damit sich Menschen zuhause fühlen?
Die Sinne spielen eine entscheidende Rolle. Wir arbeiten immer mit multisensorischen Konzepten. Von der Materialwahl über Geruch und Sound bis zum Verhältnis von Licht und Schatten passen wir alle Elemente dem Massstab der Person an. Entspannung und Komfort müssen aber nicht nur in den eigenen vier Wänden entstehen. Auch wenn ich verreise, möchte ich mich zuhause fühlen können – etwa im Hotel.
Wie stark ist der Einfluss des Ortes auf den architektonischen Ausdruck?
Der Bezug von innen und aussen spielt in jeder Architektur eine bedeutende Rolle. Durch die Aufnahme lokaler Gegebenheiten und Eigenheiten entsteht eine Verbindung zum Ort. So vermeidet man Austauschbarkeit und erreicht eine nachhaltige Einzigartigkeit. Bauen in der Zukunft heisst auch Bauen mit der Vergangenheit. Die besten Projekte entstehen, wenn man die bestehende Substanz clever umnutzen kann und so eine dynamische Verbindung mit dem Ort erzeugt.
Wie wirken sich neue Wohnformen oder gesellschaftliche Veränderungen auf Ihre Architektur aus?
Die gesellschaftliche Entwicklung wird nie stillstehen. Wir bewegen uns zwischen kompakten Kleinstwohnungen in Metropolen wie Hong Kong und luxuriösen Villenanlagen mit riesigen Umschwüngen. Ob Single-Haushalt, Patchwork-Familie oder grosse Clustergemeinschaften – Raumtrennungen und -zonierungen sollten immer flexibel gestaltbar sein. Wir entwerfen vierdimensional, um den Zeitfaktor einfliessen zu lassen. Denn auch die Veränderungen der Arbeitswelt sowie das Verhältnis von Jung und Alt wirken sich auf Entwürfe aus.
Welches Bauwerk oder Interieur hat Sie kürzlich begeistert?
Zwei koloniale Bauten in Hong Kong, die auf vorbildliche Weise das Thema Umnutzung demonstrieren: das «Tai Kwun Center for Heritage & Art» von Herzog & de Meuron sowie das « PMQ», das seit 2014 als kreativer Hub genutzt wird. Die Projekte weisen eine hohe Flexibilität auf. Auch das Wohnen der Zukunft wird durch Vielfalt und stetige Veränderung geprägt sein.