Nils Becker, Mitgründer von Architonic, dem Onlinenachschlagewerk für Architektur und Design, spricht über die Zukunft des Raums.
Man kann sich den Raum ganz leicht als endgültige Grenze vorstellen. Denn es gibt ihn ja. Viel interessanter und komplexer ist aber eine andere Vorstellung: Wie wird in dem von uns täglich genutzten Raum – also zum Beispiel in Strassen, Bürogebäuden, Wohnungen, Einkaufszentren – die virtuelle Form, der Cyberspace, immer
mehr Raum einnehmen?
Cyberspace und Architektur haben ein paar fachspezifische Termini gemein, sind aber sehr verschiedene Welten. Architekten sind an die Schwerkraft und physikalischen Gesetze gebunden. Ihre Cyberkollegen sind nutzlos, sofern sie keine ‚Suchmaschinenalgorithmen‘ beherrschen.
Selbst die komplexesten virtuellen 3-D-Welten können den emotionalen oder sensorischen Erfahrungen, Gut und Böse, des realen Lebens nicht entsprechen. Sie können stundenlang durch eine virtuelle Stadt spazieren, ohne jemals wahre Liebe zu finden – oder einen Schnaps.
Sicherlich beeinflusst die intelligente Software die von uns bewohnte Welt allmählich immer mehr, da sie die Arbeitsweise von Architekten verändert. Vor einigen Jahren durfte ich Frank Gehry bei seiner Arbeit zusehen. Sein Gestaltungsprozess war der eines Künstlers: eine Bleistiftskizze wurde zu einer Collage, eine Collage zu einem Modell und so weiter. Jede Phase bei der Entstehung eines Gebäudes trug Gehrys Handschrift, der sein Werk immer wieder durch neue Ideen, Korrekturen und Verwerfungen verfeinerte. Heutzutage können Architekten mit anspruchsvollen Computerprogrammen ein ansprechendes Bauwerk, ein überzeugendes Gebäude, in einem Bruchteil dieser Zeit erstellen. Offensichtlich gibt es aber auch viele schlechte Beispiele dafür. Kommt dies der Architektur zugute?
Wo Cyberspace meiner Meinung nach die Architektur der realen Welt positiv beeinflussen kann, ist die Art und Weise, mit der wir Räume erleben. Unternehmen wie Facebook zeigen uns etwas Wichtiges. Die Menschen brauchen für die Kommunikation mit der Welt und miteinander keine Gebäude mit klar definierten Rollen wie Büro, Wohnung, Einkaufszentrum. Wir brauchen einfach nur einen Kommunikationsort.
Die mobile Technologie ist dabei der grosse Befreier. Arbeitnehmer können freier arbeiten; die Tätigkeit von Architekten ist weniger Grenzen unterworfen. Die private Wohnung kann als Büro fungieren, ein Café kann zur Bibliothek werden. Bezeichnungen sind bedeutungslos. Raum wird zu dem, was wir wollen – zumindest in der Zukunft.
Urbane Umgebungen werden ebenfalls von diesem Cybereinfluss profitieren. Gigantische Einkaufszonen, wo bekannte Marken geballt vertreten sind, damit wir sie finden können, werden als unbeholfene Methode zur Nutzung städtischen Raums gelten. Anspruchsvolle Käufer organisieren mithilfe von Cybertechnologie ihre eigenen Einkaufszentren, einen Mix aus unabhängigen Händlern und bekannten Marken ohne die Notwendigkeit eines physischen Standorts. An einem Samstagnachmittag ist ein Smartphone alles, was diese Menschen für den realen Besuch ihres persönlichen Einkaufsorts benötigen.
Die Zukunft wird, sobald sie gekommen ist, eine Kombination sein. Unsere physische Umgebung wird vom Cyberspace erfasst werden und vielleicht auch umgekehrt. Eines Tages sprechen wir vielleicht sogar von Cyber-Architekten, dem Kengo Kuma und Zaha Hadid der virtuellen Welt – kreative Köpfe, die unser Erlebnis einer neuen Art von Raum, einer nicht so endgültigen Grenze, verändern können.